Der gemeine Wert taucht in un­ter­schied­li­chen Zusammenhängen auf: Versicherungen setzen ihn an, auch das Finanzamt kommt mit dem gemeinen Wert für Grundstücke und Immobilien um die Ecke. Worum es sich dabei handelt, welche Relevanz er hat und wie der gemeine Wert berechnet wird, erfahren Sie in diesem Ratgeber.

Mehrfamilienhäuser mit gleichen Wohnungen
Für das Finanzamt haben höchst­wahr­schein­lich alle Wohnungen in diesen Mehr­fa­mi­li­en­häu­sern den gleichen gemeinen Wert.

Das Wichtigste in Kürze

  • Wie ist die Definition des gemeinen Wertes? Der gemeine Wert ist der Marktwert eines Grundstücks oder einer Immobilie, allerdings ohne Be­rück­sich­ti­gung ungewöhnlicher Umstände oder persönlicher Einflüsse wie Ver­fü­gungs­be­schrän­kun­gen.
  • Wann wird der gemeine Wert angesetzt? Das Finanzamt setzt den gemeinen Wert für Grundstücke und Immobilien immer dann an, wenn kein anderer Wert vorgeschrieben ist.
  • Wie wird der gemeine Wert berechnet? Bei unbebauten Grundstücken ist der gemeine Wert praktisch mit dem Bodenwert identisch. Bei Immobilien wird er per Ver­gleichs­wert­ver­fah­ren berechnet, bildet aufgrund von ignorierten Faktoren wie Ver­fü­gungs­be­schrän­kun­gen allerdings oft nicht den richtigen Marktwert ab.
  • Wie ist der Nachweis für einen niedrigeren gemeinen Wert zu erbringen? Ein öffentlich bestellter und vereidigter Gutachter kann diesen Nachweis mit einem Ver­kehrs­wert­gut­ach­ten erbringen. Alternativ gilt der erzielte Erlös bei einem Verkauf auf dem freien Markt innerhalb eines Jahres nach dem Wert­ermitt­lungs­stich­tag als geeigneter Nachweis. Dadurch kann der Eigentümer die anfallenden Steuern senken.
  • Wofür ist der gemeine Wert relevant? Der gemeine Wert ist relevant für Versicherungen, das Steuerrecht und verschiedene Be­wer­tungs­an­läs­se im Im­mo­bi­li­en­be­reich, wie zum Beispiel bei Schenkungen, Tausch­ge­schäf­ten und der Einlage in Körperschaften.

André Heid
Zertifizierte Im­mo­bi­li­en­gut­ach­ter nach DIN 17024 von TÜV, DEKRA, IHK, DIA und EIPOS bewerten Ihre Immobilie sachgemäß.

Gemeiner Wert: Definition

Der gemeine Wert wird laut Be­wer­tungs­ge­setz (§ 9 BewG) immer dann angesetzt, insofern für eine Bewertung kein anderer Wert vorgeschrieben ist. Die genaue Definition lautet: „Der gemeine Wert wird durch den Preis bestimmt, der im gewöhnlichen Ge­schäfts­ver­kehr nach der Beschaffenheit des Wirt­schafts­gu­tes bei einer Veräußerung zu erzielen wäre.“ Im Bereich Grundstücke und Immobilien zählen sowohl eigene Merkmale wie Lage und Größe, als auch exogene Faktoren wie Baulasten oder Wegerechte eine Rolle.

Ungewöhnliche und persönliche Verhältnisse werden nicht berücksichtigt, alle anderen wertrelevanten Umstände schon. Ver­fü­gungs­be­schrän­kun­gen wie beispielsweise Nießbrauch fallen unter persönliche Verhältnisse. Das gilt für den gemeinen Wert insbesondere dann, wenn die Ver­fü­gungs­be­schrän­kung auf einer letztwilligen Anordnung (Verfügung als Teil des Testaments) beruht, Stichwort: geerbtes Haus verkaufen.

Der gemeine Wert spielt im Hinblick auf die Bewertung von Immobilien in zwei Bereichen eine Rolle: für die steuerliche Wertermittlung und für Versicherungen. Der Haupt­un­ter­schied zu den meisten anderen Werten ist, dass er allein die Verkäufer-Perspektive betrachtet.

Der gemeine Wert wird durch den Preis bestimmt, der im gewöhnlichen Ge­schäfts­ver­kehr nach der Beschaffenheit des Wirtschaftsguts bei einer Veräußerung zu erzielen wäre. Dabei sind – außer ungewöhnlichen und persönlichen Verhältnissen – alle Umstände zu berücksichtigen, die den Preis beeinflussen.

Gemeiner Wert, Teilwert und Co.: Alle Werte in der Im­mo­bi­li­en­be­wer­tung

Wert Beschreibung Rechtsgrundlage
Gemeiner Wert Verkaufspreis nach Beschaffenheit der Immobilie – ohne persönliche / ungewöhnliche Einflüsse. § 9 BewG
Einheitswert Finanzamtwert für Immobilien, basierend auf Werten aus 1964 (West) bzw. 1935 (Ost). § 19 BewG
Teilwert Wert für einzelnes Wirtschaftsgut innerhalb des Gesamtpreises bei Fortführung des Betriebs. § 10 BewG
Li­qui­da­ti­ons­wert Finanzieller Überschuss aus Verkauf einer Immobilie nach Liquidation. Basis: Bodenwert. § 166 BewG
Verkehrswert Realer Marktwert einer Immobilie. Berücksichtigt alle Faktoren inkl. Ver­fü­gungs­be­schrän­kun­gen. § 194 BauGB
Zeitwert Beizulegender Wert am Stichtag. Auf das Alter fokussiert. Fair Value für Bilanzierung. IAS 39

Welche Immobilie möchten Sie bewerten?

Einheitswert vs. gemeiner Wert

Der Einheitswert ist für das Finanzamt die Grundlage für die Berechnung der Grundsteuer – und zwar für Grundstücke, Immobilien (Wohnimmobilien und Gewerbe) sowie land- und forst­wirt­schaft­li­che Betriebe. Derzeit basieren die Einheitswerte noch auf Werten von 1964, in den neuen Bundesländern sogar auf noch älteren Werten (von 1935). Ab 2025 tritt eine Reform des Einheitswertes in Kraft. Dann wird vermutlich auch § 19 BewG aktualisiert.

Li­qui­da­ti­ons­wert vs. gemeiner Wert

Der Li­qui­da­ti­ons­wert gibt an, wie hoch die finanziellen Überschüsse aus dem Verkauf einer Immobilie sind. Er kommt meist bei der Liquidierung eines Unternehmens zum Einsatz. Dazu wird der Bodenwert ermittelt, gegebenenfalls auch der Ertragswert, falls das Gebäude in der bestehenden Form weitergenutzt werden kann. Anschließend werden die Frei­le­gungs­kos­ten abgezogen. Die Regeln zur Bewertung eines Wirtschaftsguts nach dem Li­qui­da­ti­ons­wert finden Sie im Be­wer­tungs­ge­setz (§ 166 BewG). Das Li­qui­da­ti­ons­wert­ver­fah­ren stellen wir Ihnen in einem eigenen Ratgeber vor.

Teilwert vs. gemeiner Wert

Der Teilwert beziffert den Betrag, den ein Käufer des ganzen Grundstücks oder Betriebs für ein einzelnes Wirtschaftsgut innerhalb des Ge­samt­kauf­prei­ses ansetzen würde. Dabei geht der Gesetzgeber von einer Fortführung des Betriebs beziehungsweise der Nutzungsart aus. Sofern kein anderer Wert vorgeschrieben ist, wird für Teile von Unternehmen oder vielseitig genutzten Grundstücken gemäß § 10 BewG der Teilwert angesetzt. Synergieeffekte werden beim Teilwert berücksichtigt, beim gemeinen Wert nicht. Der Unterschied zwischen Teilwert und gemeinem Wert liegt also in der Be­rück­sich­ti­gung solcher Synergieeffekte.

Zwei Beispiele:

Mehr­fa­mi­li­en­haus: Sie erwerben ein Grundstück mit einem Mehr­fa­mi­li­en­haus. Dieses Haus besteht aus acht kleinen Wohnungen und einer luxuriösen Penthouse-Wohnung mit Dachterrasse. Sie werden alle zu un­ter­schied­li­chen Preisen vermietet. Jede dieser insgesamt neun Wohnungen stellt ein einzelnes Wirtschaftsgut innerhalb des gekauften Grundstücks mit Mehr­par­tei­en­haus dar. Durch die un­ter­schied­li­chen Mietpreise und gegebenenfalls un­ter­schied­li­che Mo­der­ni­sie­rungs­gra­de und In­stand­hal­tungs­sta­tus unterscheiden sich die Teilwerte der einzelnen Wohnungen (Wirt­schafts­gü­ter). Insbesondere die luxuriöse Penthouse-Wohnung mit Dachterrasse dürfte um ein Vielfaches mehr wert sein als die kleineren, normalen Wohneinheiten.

Bauernhof mit Gestüt: Sie erwerben einen Bauernhof mit Weizenfeldern, ungenutztem Ackerland und einem Gestüt. Das Gestüt mit den Pferden stellt einen Teilwert des Gesamtkaufs dar, das Ackerland einen weiteren und die land­wirt­schaft­lich für den Getreideanbau genutzten Felder ebenfalls. Während es beim Ackerland und den land­wirt­schaft­lich genutzten Flächen eher auf eine Bodenbewertung ankommt, schlagen die Tiere und deren Stallungen für das Gestüt wertmäßig in der Ein­zel­be­trach­tung der Wirt­schafts­gü­ter höher zubuche.

Pferde in ihren Boxen
Was ist mehr wert – der Pferdestall und seine Tiere oder das Ackerland?

Verkehrswert vs. gemeiner Wert

Der Verkehrswert ist praktisch der Marktwert der Immobilie. Man kann ihn auch Ein­zel­ver­äu­ße­rungs­preis nennen. Der wichtigste Unterschied zum gemeinen Wert ist der, dass beim Verkehrswert alle Faktoren eine Rolle spielen, also auch Ver­fü­gungs­be­schrän­kun­gen wie ein eingetragenes Wohnrecht. Wer eine Wertermittlung benötigt, die gegenüber Finanzbehörden und vor Gericht Bestand hat, gibt ein Ver­kehrs­wert­gut­ach­ten in Auftrag.

Zeitwert vs. gemeiner Wert

Der Zeitwert einer Immobilie ist ihr beizulegender Wert an einem bestimmten Stichtag. International spricht man von Fair Value. Er kommt vor allem bei einer Scheidung mit Haus und in Bi­lan­zie­rungs­gut­ach­ten zum Einsatz. Der Zeitwert berücksichtigt verschiedene Faktoren, hauptsächlich jedoch das Alter einer Immobilie. Für die Bilanzierung gelten die Kriterien des International Accounting Standards (IAS) 39.

Hier wird der gemeine Wert angesetzt

Widmen wir uns wieder dem gemeinen Wert. Da wir nun wissen, wofür der gemeine Wert steht, schauen wir uns in diesem Abschnitt an, in welchen Bereichen der gemeine Wert eine Rolle spielt.

Versicherungen

Der gemeine Wert ist relevant für Versicherungen. Er ist die Be­rech­nungs­grund­la­ge für Schadenersatz. Der gemeine Wert stellt somit den Wie­der­be­schaf­fungs­wert einer Sache in ihrem Zustand direkt vor dem Scha­dens­ein­tritt dar.

Einerseits ist der gemeine Wert die Grundlage für die Haus­rat­ver­si­che­rung im Schadensfall. Wie hoch ist der Verkaufspreis, der für Hausrat, der für seinen Zweck nicht mehr benutzt werden kann, vor dem Scha­dens­ein­tritt erzielt worden wäre?

Andererseits ist der gemeine Wert die maßgebliche Kennzahl für die Wohn­ge­bäu­de­ver­si­che­rung. Es handelt sich praktisch um den Marktpreis, den der Ver­si­che­rungs­neh­mer für seine Immobilie erzielen kann. Ist das Gebäude zum Abbruch bestimmt oder so baufällig oder her­un­ter­ge­kom­men, dass es nicht mehr bewohnt werden kann, berechnet der Ge­bäu­de­ver­si­che­rer die Ent­schä­di­gungs­sum­me auf der Grundlage des gemeinen Wertes. Dadurch, dass die Versicherung den gemeinen Wert ansetzt, minimiert sie ihr Risiko, un­ge­recht­fer­tigt hohe Entschädigungen zu bezahlen, die für den Zeit- oder Neuwert fällig wären.

Mehrfamilienhaus mit bröckelnder Fassade und kaputten Fenstern.
Wohngebäude in schlechtem Zustand.

Steuerrecht

Das Finanzamt orientiert sich bei der Festsetzung der Erb­schafts­steu­er sowie bei einem Ver­mö­gens­zu­wachs durch die Schenkung einer Immobilie vorrangig am gemeinen Wert. Das Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richt (Beschluss des Ersten Senats vom 7. November 2006, 1 BvL 10/02) urteilte dazu: „Die Be­wer­tungs­me­tho­den müssen gewährleisten, dass alle Ver­mö­gens­ge­gen­stän­de in einem Annäherungswert an den gemeinen Wert erfasst werden.“

Das Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richt (BVerfG) erhob den gemeinen Wert mit diesem Urteil zum Wert­ermitt­lungs­maß­stab. Parallel lässt das BVerfG jedoch Typisierungen beziehungsweise pauschalisierte Grundstücks- und Im­mo­bi­li­en­be­wer­tun­gen zu. Pau­scha­li­sie­run­gen sind gültig, solange das Übermaßverbot nicht verletzt wird, die Bewertung seitens des Finanzamts also nicht extrem über den gemeinen Wert hinausgeht.

Expertentipp: Steuerschuldner haben daher gemäß § 198 BewG die Möglichkeit, mit einem Ver­kehrs­wert­gut­ach­ten eines öffentlich Im­mo­bi­li­en­gut­ach­ters, der ge­set­zes­kon­for­me Be­wer­tungs­me­tho­den anwendet, einen niedrigeren gemeinen Wert nachzuweisen. Das Gutachten eines Wirt­schafts­prü­fers ist nicht zugelassen. Der Bundesfinanzhof (BFH) hat bekräftigt, dass der Nachweis eines geringeren gemeinen Wertes ver­fas­sungs­recht­lich auch in Fällen geboten ist, in denen das Gesetz dies ausschließt.

Der konkrete Fall: Das Lagefinanzamt ermittelte im Rahmen der Erb­schaft­steu­er­fest­set­zung einen Grundbesitzwert von 235.296 Euro für einen land­wirt­schaft­li­chen Betrieb. Der Erbe verkaufte den geerbten Grundbesitz für 123.840 Euro. Das Finanzamt erkannte diesen Betrag nicht als niedrigeren gemeinen Wert an, korrigierte allerdings die zugrunde liegenden Bodenrichtwerte und senkte die Erbschaftsteuer auf 191.952 Euro.

Der Steuerschuldner beantragte eine Revision. Seiner Auffassung nach

  • hätte das Finanzgericht § 166 BewG ver­fas­sungs­kon­form dahingehend auslegen müssen, dass der Nachweis eines geringeren gemeinen Wertes erlaubt sei,
  • erbrachte er diesen Nachweis durch den zeitnahen Verkauf des Grundstücks auf dem freien Markt,
  • hat der Gesetzgeber nicht bedacht, dass bei der Bewertung von Grundbesitz auf Basis der Bodenrichtwerte Unbilligkeit entstehen kann.

Der Bundesfinanzhof stimmte dieser Auffassung mit dem BFH-Urteil vom 30. Januar 2019, II R 9/16 zu.

Wofür der gemeine Wert noch gebraucht wird

Abgesehen vom Ver­si­che­rungs­recht sowie der Ermittlung der Erbschaft- und Schen­kungs­steu­er wird der geschätzte gemeine Wert unter anderem für folgende steu­er­recht­li­chen Ge­stal­tungs­sze­na­ri­en verwendet:

  • Tausch sowie Umsatzsteuer-Be­mes­sungs­grund­la­ge beim Tausch
  • Bemessung der Stif­tungs­ein­gangs­steu­er
  • Einlage in eine Körperschaft
  • Bewertung der Transfers von Sachwerten (wie Immobilien) vom Privat- ins Be­triebs­ver­mö­gen und umgekehrt
  • Aufwertung von internationalen Schach­tel­be­tei­li­gun­gen bei Op­ti­ons­er­klä­rung

Letztlich hat der gemeine Wert viel mit Be­triebs­ver­mö­gen (Wirtschaftsgut, Ge­schäfts­ver­kehr) zu tun.

Vereinfachte Darstellung, wo der gemeine Wert zum Einsatz kommt
Vereinfachte Darstellung, wo der gemeine Wert zum Einsatz kommt

Den gemeinen Wert berechnen

Da Sie nun wissen, wofür der gemeine Wert benötigt wird, erfahren Sie hier, wie er ermittelt wird.

So berechnen Gutachter den gemeinen Wert

Ein staatlich anerkannter Im­mo­bi­li­en­gut­ach­ter berechnet den Verkehrswert und nicht den Einheitswert oder den gemeinen Wert, den das Finanzamt ermittelt. Denn der gemeine Wert lässt Ver­fü­gungs­be­schrän­kun­gen und spezielle Rah­men­be­din­gun­gen außen vor. Diese drücken den Marktwert (Verkehrswert) meistens jedoch erheblich und mindern daher auch die Steuerlast, wenn sie in der Im­mo­bi­li­en­be­wer­tung berücksichtigt werden.

Wie der Marktwert korrekt berechnet wird, erfahren Sie in unserem Ratgeber „Verkehrswert von Immobilien ermitteln“. In Deutschland greifen Sachverständige primär auf das Ver­gleichs­wert­ver­fah­ren zurück. Um auf Nummer sicher zu gehen, wird je nach Gebäudetyp und Eignung nachgelagert außerdem der Verkehrswert nach dem Er­trags­wert­ver­fah­ren oder Sach­wert­ver­fah­ren ermittelt.

Heruntergekommenes Haus von innen
Bei diesem Abbruchhaus werden der gemeine Wert des Finanzamts und der Verkehrswert des Gutachters sehr weit aus­ein­an­der­lie­gen.

So berechnet das Finanzamt den gemeinen Wert für ein Grundstück

Bei einem unbebauten Grundstück berechnet das Finanzamt einfach den Bodenwert. Dazu wird der Bodenrichtwert mit der Grund­stücks­flä­che multipliziert.

Bei bebauten Grundstücken berechnet der Finanzbeamte den geschätzten gemeinen Wert ebenfalls, ohne das Gebäude je gesehen oder gar betreten zu haben. Seine Grund­stücks­be­wer­tung fußt auf den Bodenwerten des örtlichen Gut­ach­ter­aus­schus­ses und den baulichen Anlagen. Üblicherweise nutzt der Fiskus das Ver­gleichs­wert­ver­fah­ren. Der tatsächliche Zustand der Immobilie / des Grundstücks ist für die Finanzbehörde unerheblich. Ist die Wertermittlung über diese Variante mangels vergleichbarer Objekte nicht möglich, findet das Sach- oder Er­trags­wert­ver­fah­ren Anwendung. Allerdings berücksichtigt das Finanzamt eben keine Abschläge für einen Mo­der­ni­sie­rungs­stau oder die Sa­nie­rungs­be­dürf­tig­keit des Gebäudes, sondern bewertet nach Alter. Auch erhebliche Ver­fü­gungs­be­schrän­kun­gen wie Nießbrauch, ein Wohnrecht oder der im Testament festgehaltene Wille des Erblassers, dass das Haus nur an eine gemeinnützige Einrichtung verkauft werden darf – die wohl kaum marktgerechte Preise bezahlen wird –, klammert das Finanzamt aus.

Sie haben eine baufällige Immobilie in einer Toplage geerbt? Der gemeine Wert wird viel zu hoch ausfallen.

Ihre Eltern haben Ihnen ihre Ei­gen­tums­woh­nung überschrieben, verfügen aber über ein dauerhaftes Wohnrecht? Der gemeine Wert wird aufgrund der Ver­fü­gungs­be­schrän­kung weit über einem realistischen Marktpreis liegen.

In solchen Fällen empfehlen wir, nicht erst auf den Steuerbescheid zu warten, sondern proaktiv ein ge­set­zes­kon­for­mes, aber steu­er­op­ti­mier­tes Ver­kehrs­wert­gut­ach­ten einzureichen, das den „niedrigeren gemeinen Wert“ belegt.

Bestimmung des niedrigeren gemeinen Wertes

Führt die Standard-Bewertung des Finanzamts zu einem gemeinen Wert, der höher ist als der Verkehrswert des Grundstücks, dann lässt § 198 BewG dem Steu­er­pflich­ti­gen ein Schlupfloch. Kann ein zertifizierter Gutachter nachweisen, dass der gemeine Wert der wirt­schaft­li­chen Einheit (Grundstück + Immobilie) im Sinne des § 9 BewG (Verkehrswert) am Be­wer­tungs­stich­tag niedriger ist als der vom Finanzamt festgestellte Wert, so bewirkt die Öffnungsklausel, dass der dann niedrigere Verkehrswert angesetzt werden darf.

Die Wertermittlung nach § 9 BewG kann folgende Berechnungen ersetzen, sofern das Ergebnis niedriger ist als der nach

Wert für die Erbschafts- oder Schen­kungs­steu­er.

Auch im Rahmen der Bewertung von Grundbesitz kann der gemeine Wert anders ermittelte Werte in der steuerlichen Betrachtung schlagen. Das gilt für:

Sofern die maßgeblichen Verhältnisse sich gegenüber denen, die am Be­wer­tungs­stich­tag vorlagen, nicht geändert haben, gilt als Nachweis des niedrigeren gemeinen Wertes auch der Kaufpreis. Voraussetzung dafür ist laut § 198 Abs. 3 BewG, dass der Verkauf innerhalb eines Jahres nach dem Be­wer­tungs­stich­tag stattgefunden hat – und zwar unter Bedingungen des gewöhnlichen Ge­schäfts­ver­kehrs. Ein Schnäppchen-Verkauf an Angehörige zählt also nicht.

Die Haken daran:

  • Der Steu­er­pflich­ti­ge muss einen Nachweis erbringen (Gutachten).
  • Ein Ver­kehrs­wert­gut­ach­ten kostet einen vierstelligen Betrag.
  • Der Steu­er­pflich­ti­ge muss darlegen, warum der niedrigere gemeine Wert gilt.

Häufige Fragen zum gemeinen Wert

Abschließend beantworten wir ein paar oft gestellte Fragen zum gemeinen Wert.

Wann ist der Be­wer­tungs­stich­tag für den gemeinen Wert?

Der Be­wer­tungs­stich­tag, auch Wert­ermitt­lungs­stich­tag, ist das Datum, an dem der bisherige Eigentümer der Immobilie diese weitergibt. Das kann zum Beispiel der Tod des Erblassers sein oder das Datum der Unterschrift auf der Schen­kungs­ur­kun­de.

Welche Rolle spielt der gemeine Wert im Steuerrecht?

Der gemeine Wert spielt für das Finanzamt immer dann eine Rolle, wenn kein anderer Wert vorgeschrieben ist. Liegt ein Ver­kehrs­wert­gut­ach­ten eines staatlich anerkannten Im­mo­bi­li­en­sach­ver­stän­di­gen vor, richten sich die Finanzbeamten meist danach, anstatt den oft deutlich höheren gemeinen Wert zu berechnen.

Prinzipiell ist der gemeine Wert im Zusammenhang mit Immobilien gefragt, wenn es um eine Erbschaft, Schenkung, möglicherweise auch Scheidung, die Stiftungssteuer oder diverse Spielarten rund um das Themenfeld Be­triebs­ver­mö­gen geht.

Wird der gemeine Wert brutto oder netto ermittelt?

Um eine Immobilie oder Wirt­schafts­gü­ter korrekt zu bewerten, ist es wichtig zu wissen, ob der gemeine Wert brutto oder netto angesetzt wurde. Normalerweise wird der gemeine Wert netto ermittelt, also ohne Be­rück­sich­ti­gung der Umsatzsteuer. Er spiegelt den Preis wider, der im gewöhnlichen Ge­schäfts­ver­kehr zu erzielen wäre und dieser bezieht sich auf den Nettowert.

Wie beeinflussen persönliche Finanzen den gemeinen Wert?

Ungewöhnliche oder persönliche Verhältnisse haben keinen Einfluss auf den gemeinen Wert. Das schließt das eigene Vermögen, also die persönlichen Finanzen mit ein.

Wie wirken sich Ver­fü­gungs­be­schrän­kun­gen auf den gemeinen Wert aus?

Ver­fü­gungs­be­schrän­kun­gen wie Wohnrecht oder Nießbrauch werden bei der Berechnung des gemeinen Wertes nicht berücksichtigt. Liegt eine Ver­fü­gungs­be­schrän­kung vor, sollte der neue Eigentümer des Grundstücks / der Immobilie unbedingt ein Ver­kehrs­wert­gut­ach­ten beim Finanzamt einreichen, um die Steuerlast zu senken.

Was hat es mit dem Nachweis des niedrigeren gemeinen Wertes auf sich?

Der Gesetzgeber erlaubt den Finanzämtern eine Typisierung und Pau­scha­li­sie­rung bei der Wertermittlung von Immobilien und Grundstücken. Da diese einfache Betrachtung häufig nicht einmal ansatzweise den wahren Marktwert einer Immobilie widerspiegelt, räumt er dem Steuerschuldner mit § 198 BewG die Möglichkeit ein, diesen Wert durch den Nachweis eines niedrigeren gemeinen Wertes durch einen Sach­ver­stän­di­gen zu senken.

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